Zum Klavierabend „Nie zuvor gehörte Klänge. Klaviermusik um 1914“
Klangzeit-Naumburg-Konzert mit Mark Anders
von Marek Bobéth
Courage hat er, der 1974 in Naumburg geborene und jetzt in Berlin und Eberswalde wirkende Pianist und Pädagoge Mark Anders, denn er kündigte ein Klavierprogramm ohne die üblichen Klassik-Hits von Beethoven und Chopin an: Kompositionen aus fünf Ländern, die allesamt in den Jahren 1911 bis 1913 entstanden sind. Einige Kompositionen des Franzosen Claude Debussy und des Russen Sergej Prokofjew werden dem Konzertpublikum, das übrigens in beachtlicher Zahl den Saal im Naumburg-Haus füllte, gewiss bekannt sein. Arnold Schönberg kennt man zumindest dem Namen nach, aber die Musik nach seiner Lossagung von der tonalen Tradition ist für viele immer noch ein Horror.
Und wie schön klingen doch die aphoristischen Stücke op. 19, wenn sie so delikat interpretiert werden wie von Mark Anders und man einmal seine konventionellen Hörgewohnheiten abschaltet und sich unvoreingenommen auf etwas Neues einlässt. Die Stücke bewegen sich mehrfach an der Grenze zum Verstummen: Klang wird zu Nachklang, Materie zu Atmosphäre. Schönberg wollte provozieren, wenn er sagte, dass man seine Musik nicht verstehe, wenn man sie schön fände.
Herbert von Karajan meinte, dass man Neue Musik so schön spielen müsse, dass die Hörer sie letztendlich auch schön finden. Der Interpret kann zunächst zufrieden sein, wenn sein Publikum diese Musik zumindest als interessant, beeindruckend empfindet, und das tat das Naumburger Publikum. Es wirkte nicht verstört oder gar entsetzt, sondern durchaus aufgeschlossen und offen. Hilfreich ist es, wenn man in Details der Stücke eingeführt wird und einen Blick in die Werkstatt des Komponisten werfen kann, so dass Hören und Verstehen sich ergänzen. Das wurde durch die Kommentare und die als Hörhilfen vorab gespielten Werkausschnitte erreicht, die der Pianist souverän mit seinen Interpretationen verband. Er beherrscht die Materie und kann sie vermitteln: pianistisch und verbal. Die Kraftanstrengungen der 2. Sonate Prokofjews bewältigte Mark Anders ohne Mühe, fast spielerisch, und auch diese Musik klang selbst im gewaltigen Ausbruch nicht hart oder gar brutal, sondern immer noch ästhetisch, ja schön.
Der Impressionismus bediente sich häufig exotischer, folkloristischer und außermusikalischer Anregungen. Debussy war der Meister, aber der Engländer John Ireland und der Spanier Joaquin Turina sind keineswegs Epigonen: Sie prägten in impressionistischer Manier einen individuell inspirierten und dem kulturellen Kontext ihrer Heimat verpflichten Stil. Es war interessant, Kompositionen dieser Meister kennen zu lernen, die ebenfalls eindrucksvoll vorgetragen wurden.
Mark Anders hat mit diesem Konzert mehr bewirkt, als wenn er die erwähnten Klassik-Hits geboten hätte. Er hat aufmerksam gemacht, Trends nachgezeichnet, die Sinne geschärft und bei allem auch spielerisch Genuss bereitet.
Naumburger Tageblatt, 14.2.2006